Warum ein bisschen irisches Wesen auch uns Deutschen gut täte.

Deutschland und Irland könnten unterschiedlicher kaum sein. Nun komme ich noch aus Berlin, dem unangefochtenen Herzen der Unfreundlichkeit und Rotzigkeit, daher mag meine Wahrnehmung ein wenig extremer sein.

Die irische Gelassenheit

Die Gelassenheit, die einem hier begegnet, ist für das deutsche Gemüt nur schwer zu erfassen. 20 Minuten Busverspätung führen in Berlin nicht nur zu angestrengten Gesichtern und ungeduldigem Trampeln, sondern auch zu tumultartigen Szenen, wenn sich die Türen endlich öffnen. Der Ire jedoch nutzt die Zeit für einen kurzen Plausch mit seinem Nebenmann, weil klar ist, dass jeglicher Ärger nicht zum schnelleren Eintreffen des ÖPNV führt. Beim Einsteigen herrscht Gemütlichkeit, man gewährt einander höflich Vortritt und motzt nicht. Würde man sich in Berlin -wie hier üblich- beim Aussteigen beim Busfahrer bedanken, wäre dieser womöglich weniger frustriert und müsste nicht mehr Dinge wie „GEHSTE MA VONNE TÜR WECH, DU VOGEL, ODER SOLL’N WA DIE JANZE NACHT HIER STEHEN?!“ aggressiv durch die Lautsprecher brüllen.

Hilfsbereitschaft wird hier groß geschrieben, ebenso wie ein offener, herzlicher Umgang auch mit und unter Fremden. Die obligatorische Frage „Hi, how are you?“ (oder stilvoll abgekürzt: „Hiya!“) ist wahlweise Floskel oder Gesprächseinstieg und lässt einem die Wahl zwischen ‚Ja, ja, alles gut‘ ( = lass mich, ich will heute nicht reden) oder einem Ausflug zur aktuellen Wetterlage, die das Gespräch dann in alle Richtungen fließen lassen kann. Die Iren reden gern. Dieser permanente Austausch mag auch ursächlich dafür sein, dass die Postboten immer wissen, wer gerade wo ein- oder ausgezogen ist und auch dann ohne konkrete Adressangabe alles zustellen.

Wenn du nichts Nettes zu sagen hast, sag lieber gar nichts. Rummaulen, permanente Unzufriedenheit und die deutsche Grimmigkeit findet man hier eher selten. In einem Land, in dem es so viel regnet und selbst die Sommer selten wärmer als 17 Grad sind, muss man sich auf das Positive konzentrieren. Ewige Negativität würde die Menschen in Depressionen treiben und das will ja niemand.

Die Deutsche Unzufriedenheit

Woher kommt aber unsere Unzufriedenheit und unsere Skepsis? Sind wir so übersättigt und haben einen so hohen Lebensstandard erreicht, dass uns die permanente Verlustangst umtreibt? Oder sind wir Opfer unserer Werte?

Pünktlichkeit, Fleiß, Genauigkeit, Präzision, Zuverlässigkeit – das erwartet man von uns und dem werden wir gerecht. Bewusst oder unbewusst. Wir sind steif, bürokratisch, feiern die Misserfolge anderer mit einem inneren „War ja klar, dass das schief geht.“ nur um zu propagieren, wie Recht wir doch behalten haben. Wir ziehen unsere Tasche etwas dichter an uns und sind empört, wenn sich in einer leeren S-Bahn jemand auf den Sitz neben uns setzt, wenn doch der ganze Waggon frei ist. Es ist verdächtig, wenn Leute nicht distanziert sind.
Wir glauben, unsere Arbeitswut bringt uns weiter -beruflich und privat- und machen uns kaputt. Wir kennen keine Feierabende, treiben uns an und an den Rande der Erschöpfung. Darunter leiden nicht nur wir, sondern auch unser Umfeld.

Mal inne halten. 

Warum halten wir nicht einfach mal an, öffnen uns für ein bisschen mehr Miteinander und atmen durch? Ohne in Fremden eine Bedrohung des eigenen Lebensstandards zu sehen und ohne Angst, dass uns Faulheit unterstellt wird, wenn wir uns mal wieder Zeit für uns nehmen. Warum machen wir uns nicht einfach locker, öffnen die Augen für die schönen Dinge und bedanken uns mal beim Busfahrer. Oder fragen die Bäckerin, wie’s ihr geht.

Ein bisschen mehr irische Offenheit täte uns nicht schlecht. Deshalb können wir ja trotzdem pünktlich bleiben.

6 Gedanken zu “Warum ein bisschen irisches Wesen auch uns Deutschen gut täte.

  1. Janine schreibt:

    Sehr schön geschrieben und so wahr!
    Nach meinem Jahr in Irland konnte ich mir das noch eine ganze Zeit lang wahren…aber dann hat mich Berlin auch zum Motzer und Drängler gemacht. :-(
    Als wir letztes Mal in Cork waren wussten wir nicht so recht wo hin. Ich habe dann den Busfahrer auf der Karte gezeigt wo unser hotel ist und hatte schon angst das entweder er gleich motzt oder die anderen Passagiere. Stattdessen nahm er sich zeit und meinte setzt euch in die Nähe dann geb ich Bescheid wann ihr raus müsst.
    Warum sind wir eigentlich in D so streng mit uns? So ungeduldig? So verbissen?
    Ich genieße jedes Mal wieder das freundliche und gemütliche Leben in Irland. :-)

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    • 18CaratTrash schreibt:

      Haha, ja geil, wie einen Berlin so prägt, oder? Da zieht man präventiv schonmal den Kopf ein, wenn man nen Busfahrer anspricht.
      Ich frag mich ehrlich gesagt aber auch, wie lange die gelernte Offenheit und Freundlichkeit in der Heimat dann anhält und wann man vor dem „Deutschsein“ kapituliert. Das erfordert schon ne Menge Toleranz. Von daher Hut ab, dass du es immerhin ne Weile geschafft hast :)

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  2. Stefanie schreibt:

    Das mit der S-Bahn hab ich auch drauf. Nächstes Mal werde ich probieren zu lächeln, wenn es einer wagt, sich neben mich zu setzen. Schöner Text. Hab ich sehr gern gelesen.

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    • 18CaratTrash schreibt:

      Gutes Stichwort: Lächeln. Wir lächeln viel zu wenig! Und hier Lächeln aber alle immer zurück, das macht’s einem sehr einfach. Aber man kommt sich in Deutschland auch irgendwie so grenzdebil vor, wenn man so vor sich hinlächelt. Absurd – ist doch eigentlich was Tolles.

      Erzähl dann mal, wie deine Lächel-S-Bahn-Fahrt war! Womöglich ergibt sich daraus sogar noch ein nettes Gespräch? :)

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  3. E. schreibt:

    Ich mag ja die Rotzigkeit det Berliners ;) obwohl ich aus Süddeutschland bin.

    Aber trotzdem, natürlich hast du Recht!

    Ich stecke es regelmäßig nach Irlandurlauben, spätestens nach 1-2 Wochen, wieder auf Menschen die einem auf der Straße begegnen zu grüßen…….because NO Feedback.
    Aber beim wandern in A oder CH da wird gegrüßt was das Zeug hält. Da ham se Stimme!

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